NRZ, 02.07.2023, VOERDE
„Hab den Wagen voll geladen“ voller Jazz: Furiopolis traten im lockeren Ambiente auf dem Tinthof auf. Foto: Markus Joosten / FUNKE Foto Services
Voerde: Furiopolis servieren auf dem Tinthof Jazz mal anders
HOFKONZERT
VOERDE. Der Tinthof in Spellen war am Freitag Veranstaltungsort eines originellen Jazzkonzerts. Welche Rolle dabei Volks- und Kinderlieder spielten.
Bettina Schack
Die beiden Anhänger stehen auf Eck – ihre Ladeflächen verbunden – unter der Überdachung des Tinthofs. Sie sind beladen. Aber nicht mit Kartoffeln, Rüben oder was sonst von niederrheinischen Äckern eingeholt wird, sondern mit Schlagzeug, Keyboard, Notenständern und Instrumentenkoffern. Werkzeug also für das, was ebenfalls am Niederrhein wächst und gedeiht. Am Freitagabend wurde der Tinthof in Spellen zur Spielstätte der diesjährigen rechtsrheinischen Hofkonzerte-Reihe des Vereins Kulturprojekte Niederrhein.
Es waren Markus Türk (Trompete, Flügelhorn, Euphonium), Jan Klare (Saxophon, Flöte), Manfred Heinen (Keyboard), Nils Imhorst (Bass) und Tobi Lessnow (Schlagzeug), die eine reiche Ernte einfuhren. Sie nahmen die Melodien, die bekannte und unbekannte Komponisten vor Jahrhunderten als Volksweisen, Kinderlieder und längst volkstümlich gewordene Klassik ins kollektive Bewusstsein gesät haben, und be- und verarbeiteten sie dort vor Ort zu Jazz, wo die Hülsermanns auf ihrem seit Generationen im Familienbesitz betriebenen und seit 1336 historisch belegten Tinthof Milchkühe halten und Rohmilchkäse herstellen.
Vielen bleiben beim Konzert in Voerde-Spellen nur Stehplätze
Es ist ein schöner Abend, nicht zu heiß und nicht zu kalt. Die Gäste – Nachbarn und Musikinteressierte – sind so zahlreich erschienen, dass zusätzliche Tische herbeigeschafft werden müssen. Trotzdem bleiben vielen nur Stehplätze. Auch so können sie es sich gut gehen lassen. Das kulinarische Angebot ist mehr als regional, der Käse kommt vom Hof, das Bier hat auch nur ein paar 100 Meter zurückgelegt. Und dazu servieren die Macher der Hofkonzerte einen vollwertigen Jazzabend: zwei Sets plus Zugabe voller Spielfreude, Originalität und Humor.
Furiopolis nennt sich das Ensemble, auf Anregung von Ali Haurand hervorgegangen aus dem Jazzkabarett Furiosef von Manfred Heinen und Markus Türk, wie Letzterer in der Pause erzählt. Zu seinen musikalischen Referenzen gehören Salsa Picante, Helge Schneider und die Ärzte, Charlie Mariano oder Mouse on Mars.
Die Idee sowohl hinter dem Duo Furiosef als auch hinter der Band Furiopolis, wie sie in Spellen auf der Anhänger-Bühne stand: Statt der traditionellen Jazz-Standards sind Volks- und Kinderlieder das Ausgangsmaterial für Improvisationen. Das funktioniert, weil bereits das Ausgangsmaterial entsprechend jazzig harmonisiert wird.
„Frühling lässt sein blaues Band“ dichtete Mörike einst, war es eine Vorahnung, dass bei Furiopolis der Lenz als waschechter Blues grüßen lässt? Bei „von den Blauen Bergen kommen wir“ funkt es gewaltig in der Bläsersektion und der Rhythmussektion, während „Fuchs du hast die Gans gestohlen“ zur wilden Jagd auf komplementären Rhythmen und mit waghalsigen Soli wird.
Versierte Bläsersektion: Markus Türk (Trompete, l.) und Jan Klare (Saxophon). Foto: Markus Joosten / FUNKE Foto Services
Wem das jetzt alles spanisch vorkommt, hat nicht Manfred Heinens Neuinterpretation von „Für Elise“ gehört. „Olé Elise“ spielt mit dem Gedanken, was wohl passiert wäre, wenn der Bonner nicht nach Wien, sondern nach Sevilla gegangen wäre. Beethovens Klavierübung schlittert durch die Flamencokadenz, Türk wechselt zwischen Trompete und klappernden Stabkastagnetten hin und her. Noch heftiger: Heinens Bearbeitung von Beethovens „Fünfter“, stilistisch angesiedelt zwischen Lateinamerika und Oktoberfest. Später spielen die Jazzer noch den „Frühling“ im Sommer „Wie Vivaldi“ – Klare und Türk virtuos kontrapunktisch improvisiert. Und zwischendurch patscht Türk mit der Fliegenklatsche Heinen auf die Finger, weil der zulange solo spielt: Die Musik-Comedy kommt an diesem Abend nicht zu kurz.
Na dann, „Nacht Mattes“. Das sei von Mozart, meint Türk, der ja in Wirklichkeit aus Moers stamme. Seiner „kleinen Nachtmusik“ tut das kaum einen Abbruch – zumindest, wenn man sie immer als groovige Jazzrock-Nummer mit Van-Halen-mäßigem Synthesizerpart empfunden hat. Dann heißt es wirklich „Gut Nacht“.
Aber nicht ohne eine Zugabe, denn Furiopolis ernten an diesem Abend auch begeisterten Applaus. Die Musiker bedanken sich mit „Die Getränke sind frei“: Klare und Türk schwadronieren auf Saxpohon und Euphonium, lassen die Instrumente plappern und die Gedanken schweifen. Und dazwischen quietschen sie rhythmisch mit Gummihähnchen: Furiopolis sind wirklich furios
>>Info: Weitere Höfe als Spielstätten gesucht
Vier Hofkonzerten auf der rechtsrheinischen Seite des Kreises Wesel stehen in diesem Jahr zwölf Abende am linken Niederrhein gegenüber, erklärt Rüdiger Eichholtz, Gründungsmitglied des Vereins Kulturprojekte Niederrhein. Die Konzertreihe dient der Vernetzung in der Region, versteht sich auch als Werbung für die regionale Landwirtschaft. Während sich die Hofkonzerte in den linksrheinischen Kommunen etabliert haben, sucht Kulturprojekte Niederrhein e.V. in Hünxe und Dinslaken noch Höfe als Spielstätte. Interessenten werden gebeten, sich bei Rüdiger Eichholtz zu melden.
Info und Kontakt: kulturprojekte-niederrhein.de.