NRZ, 20.11.2023, Oberhausen
Der israelische Autor Igal Avidan liest im „Leerstand“, dem Parterre des Oberhausener Bahnhofsturms, aus seinem Buch „… und es wurde Licht!“ Foto: Michael Dahlke / FUNKE Foto Services
Israelischer Autor sieht Lichtmomente in dunkler Stunde
NAHOST-KONFLIKT
OBERHAUSEN. Igal Avidan durchforschte Israel nach Beispielen für gelungenes jüdisch-arabisches Zusammenleben: Spannende Lesung bei Kitev im Hauptbahnhof.
Marco Fileccia
Igal Avidan ist ein Mensch, der nichts schönredet, nicht den unversöhnlichen Hass und nicht die brutale Gewalt. Dennoch hat er eine Eigenschaft, die heutzutage selten ist: Er erkennt auch die positiven Beispiele im jüdisch-arabischen Zusammenleben. Der israelische Autor stellte sein neues Buch „ . . . und es werde Licht“ mit einer Lesung vor 35 Gästen im „Leerstand“ im Hauptbahnhof vor. Eingeladen hatten als Gastgeber der Verein Kultur im Turm (Kitev) sowie Kulturprojekte Niederrhein und das Literaturhaus Oberhausen.
Es könnte keinen schlechteren Zeitpunkt für ein Buch über das Zusammenleben von Juden und Arabern in Israel geben. Und keinen besseren. Igal Avidans Buch erschien am 15. Mai, lange vor den barbarischen Massakern der Hamas in Israel und lange vor dem Krieg im Gaza-Streifen als Antwort darauf. So erscheint es auf den ersten Blick seltsam, dieses hoffnungsvolle Buch vorzustellen. „Natürlich“, sagt Rüdiger Eichholtz, Vorstandsmitglied der Kulturprojekte Niederrhein und einer der Organisatoren, „werfen die aktuellen Ereignisse alles zurück. Aber gerade jetzt müssen wir positive Signale senden!“ Und das tut Igal Avidan auf der vorletzten Station seiner Lesereise in Deutschland mit einer angenehmen Mischung aus Fakten und Anekdoten. Er reicherte sie mit Fotos an, die die Menschen hinter den Geschichten sichtbar werden ließen.
Kurze Schimmer eines friedlichen und fairen Zusammenlebens
Der in Tel Aviv geborene, 61-jährige Autor begab sich auf eine Reise von Nord nach Süd in Israel. Er berichtet von sieben Stationen. Igal Avidan traf Menschen, die Hoffnung machten und einen kurzen Schimmer eines friedlichen und fairen Zusammenlebens von jüdischen und arabischen Israelis aufblitzen ließen. Er nennt sie Lichtmomente, die er sichtbar machen möchte. Hier einige Beispiele:
Von Nord nach Süd hatte Igal Avidan für sein aktuelles Buch Israel durchquert und fand Beispiele der Hoffnung selbst angesichts von Gewalttaten – wie er aus Akko erzählte. Foto: Michael Dahlke / FUNKE Foto Services
Die Reise beginnt im Kibbuz Lochamei haGetaot im Norden Israels, 25 Kilometer von der libanesischen Grenze entfernt. Ursprünglich von Holocaust-Überlebenden gegründet, beheimatet er seit 1949 das Museum „Haus der Ghettokämpfer“. Im Jahr 2019 wurde Masad Barhoum aus dem benachbarten Naharija, der einzige arabische Direktor eines staatlichen israelischen Krankenhauses, vom Museum geehrt. Er hatte zahlreiche verletzte Syrer behandelt. „Wo Unmenschlichkeit herrscht, versuche Mensch zu sein“, lautet der Talmud-Spruch auf der Medaille, die der Arzt für sein außerordentliches humanitäres Wirken erhielt.
Nur sieben Bildungseinrichtungen in Israel sind zweisprachig
In der einstigen Kreuzritterstadt Akko interviewte der Autor für sein Buch den 30-jährigen Mor Ganashvili. Im Mai 2021 wurde er von arabischen Jugendlichen in seinem Auto überfallen und brutal zusammengeschlagen. Der gleichaltrige Fadi Kassem, ein arabischer Krankenpfleger, rettete ihn. Später im Krankenhaus kam es zu einer rührenden Begegnung der beiden Männer. Igal Avidan verschweigt die Schattenseiten dieses Lichtmoments nicht: Mor Ganashvili wurde so schwer verletzt, dass er nie wieder gehen kann, und Fadi Kassem wurde für seine Heldentat angefeindet.
In der idyllischen Hafenstadt Haifa gibt es den zweisprachigen Kindergarten des Bildungsnetzwerks Yad he Yad. Die Hälfte der 110 Kinder ist jüdisch, die andere arabisch. Alle Kinder lernen Hebräisch und Arabisch, jede Gruppe hat zwei Erzieherinnen. Igal Avidan verschweigt keineswegs, dass dies nur „ein Tropfen im Ozean“ ist. In ganz Israel besuchen nur 2000 Kinder sieben zweisprachige Bildungseinrichtungen, aber 1,9 Millionen Gleichaltrige nicht. Dennoch bleibt der Autor seinem Grundtenor treu und zitiert den Direktor des Kindergartens, Michael Farjun: „Dieser Tropfen ist Gold wert“.
Frage aller Fragen: „Wie kann der Konflikt gelöst werden?“
In Jerusalem lebt Mahmoud Safadi. Der ehemalige Kämpfer der ersten palästinensischen Intifada wurde zu 27 Jahren Haft verurteilt, von denen er über 16 Jahre absaß. Im israelischen Gefängnis lernte er Hebräisch, absolvierte ein Fernstudium und machte seinen Magister in israelischer Landeskunde. Igal Avidan wählt seine Beispiele mit Bedacht aus und zeigt, dass es keine Wohlfühlgeschichten sind. Mahmoud Safadi beispielsweise bezeichnet Israelis weiterhin als seine Feinde, die sein Land besetzen.
Igal Avidan fesselte sein Publikum 90 Minuten lang, trotz unbequemer Holzstühle, im „Leerstand“ genannten Parterre des Bahnhofsturms. Die anschließende Diskussion wurde, wie zu erwarten, geprägt von den aktuellen Ereignissen und der Frage aller Fragen: „Wie kann der Konflikt gelöst werden?“ Eine Frage, die zurzeit wohl niemand beantworten kann, auch der Nahostexperte nicht. Igal Avidan zeigte nicht mehr, aber auch nicht weniger als Lichtmomente des jüdisch-arabischen Zusammenlebens in Israel.
INFO
Debatte zum „Antisemitismus in Teilen der Linken“
Als letzten Beitrag der „Shalom“-Reihe, die Kitev spontan nach den Terrorakten der Hamas vom 7. Oktober konzipiert hatte, folgt am Samstag, 9. Dezember, von 19 bis 21 Uhr, ebenfalls im „Leerstand“ des Bahnhofsturms „Gegen jeden Antisemitismus“, eine Debatte zum jüdisch-muslimischen Dialog.
Den Abend moderiert der Blogger und Journalist Kurt Schmalle, kurz „Schmalle“, der seit vier Jahren in Oberhausens Freier Uni die philosophische Fakultät „Gott und die Welt“ leitet. Mit ihm diskutieren Lisa Michajlova (Regionalbeauftragte der Jüdischen Studierenden Union), Eren Güvercin (Journalist und Mitgründer der Alhambra Gesellschaft), Jalil alias „Himbeer_Pi“ (Social Media-Aktivist).
Den Impulsvortrag zu „Antisemitismus in Teilen der Linken“ hält Ariel Elbert vom Vorstand „Keshet Deutschland“, als Verein gegründet, um die Rechte von und den Umgang mit jüdischen LGBTIQ+ zu fördern.